Inhalt dieses Artikels:
Was der Unterschied zwischen dem Dolmetschen und dem Übersetzen ist, ist die Frage, die fachfremde Personen zu unserem Beruf am häufigsten stellen. Gleichzeitig gibt es viele Websites und Plattformen, die genau diese Frage beantworten. Warum also ein weiterer Blog-Beitrag zu dem Thema?
Ich denke, dass die Antwort, die oft auf diese Frage gegeben wird, viele Schlüsselelemente vernachlässigt.
Gebe ich die Frage bei Google ein, erhalte ich folgendes Ergebnis:
„Übersetzen bezieht sich auf Text, Dolmetschen auf gesprochene Sprache.“
Ein weiterer Faktor, auf den bei der wissenschaftlichen Definition von Übersetzen und Dolmetschen eingegangen wird, ist Zeit:
Die Übersetzung wird mit großem Zeitabstand vom Verfassen des Ursprungstexts erstellt, während wiederum eine große Zeitspanne vergeht, bis die Übersetzung gelesen wird. Zudem kann der übersetzte Text beliebig oft gelesen werden.
Beim Dolmetschen steht das Unmittelbare im Vordergrund. Der Sprachtransfer erfolgt zeitgleich mit der Produktion der Ausgangsrede und wird vom Zielpublikum in genau diesem Moment erfasst. Natürlich kann man in der heutigen Zeit digitale Aufnahmen anfertigen, die ein späteres Abhören ermöglichen; das ist aber nicht der primäre Verwendungszweck einer Verdolmetschung.
Bei diesen Betrachtungen gehen wir davon aus, dass eine klare Trennung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache besteht.
In diesem Beitrag nennen ich ein paar Sonderformen des Übersetzens und des Dolmetschens, die zeigen, dass es nicht immer möglich ist, eine trennschafte Linie zwischen den beiden Tätigkeiten zu ziehen.
Ich beschreibe das Untertitel-Übersetzen, erläutere, worum es sich beim Schriftdolmetschen handelt, inwiefern es sich vom Live-Untertiteln unterscheidet, und ich erkläre, was sich hinter den Begriffen Stegreifübersetzen und Vom-Blatt-Dolmetschen verbirgt.
Wenn ich Untertitel für Filme, Serien, Talks oder Dokumentationen übersetze, spüre ich jedes Mal wieder, wie eng Dolmetschen und Übersetzen miteinander verwoben sind.
Beim Untertiteln wird gesprochene Sprache in Schriftsprache übertragen. Hierbei gilt die gleiche zeitliche Dimension wie beim Übersetzen was die Produktion des Ausgangstexts, die Übertragung und der Verwertung durch das Zielpublikum angeht.
Sowohl beim Übersetzen von Untertiteln als auch beim Dolmetschen sind eine hohe Analysefertigkeit und Sprachflexibilität gefragt. Wichtige Strategien sind dabei Zusammenfassen, Abstrahieren und Umformulieren. Eine Übersetzung von einzelnen Wörtern führt zu keinem brauchbaren Ergebnis.
Beim Schriftdolmetschen steht ebenfalls das gesprochene Wort im Mittelpunkt. Der Prozess erfolgt, wie beim klassischen Dolmetschen, zeitgleich. Dabei wird der mündliche Vortrag in Schriftform gebracht und unmittelbar vom Publikum verwertet. Dies kann in der gleichen Sprache erfolgen und ist ein wichtiges Mittel der Barrierefreiheit, oder mit einem Sprachtransfer einhergehen.
Live-Untertitelung ist dem Schriftdolmetschen ähnlich. Live-Untertitel sind im Fernsehen bei Live-Sendungen gebräuchlich und das Schriftdolmetschen wird unter anderem bei Konferenzen eingesetzt.
Dabei benötigt der/die Dolmetscher:in nicht nur die üblichen Fähigkeiten, die für das Dolmetschen nötig sind, sondern muss auch die Regeln der Schriftsprache perfekt beherrschen, wie Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung.
Beim Stegreifübersetzen wird ein geschriebener Text in einer anderen Sprache mündlich vorgetragen. Der Alternativbegriff „Vom-Blatt-Dolmetschen“ zeigt, wie eng Dolmetschen und Übersetzen hier miteinander verzahnt sind. Hierbei verlässt sich der/die Dolmetscher:in nicht auf sein Gehör, das bereits im Unterbewusstsein, bevor wir den Input bewusst analysieren, filtert und sortiert, sondern ist mit einem schriftlichen Text konfrontiert. Der visuelle Input muss erfasst und verarbeitet und in mündliche Sprache übertragen werden.
Das ist eine ganz ähnliche Herausforderung wie beim „Dolmetschen mit Text“, also dem klassischen Dolmetschen, bei dem sich der/die Dolmetscherin primär auf sein Gehör und den/die Redner:in konzentriert, aber den Redebeitrag (z. B. eine festliche Ansprache) vorab zu Vorbereitungszwecken erhalten hat und nun als Stütze heranzieht.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Stegreifübersetzen und Dolmetschen mit Text ist jedoch, obwohl beides unmittelbar und im Moment erfolgt, dass beim Stegreifübersetzen der/die Übersetzer:in den eigenen Rhythmus vorgibt, wohingegen beim Dolmetschen mit Text der/die Redner:in das Tempo bestimmt (was bei vorgelesenen Texten leider oft sehr schnell ist), an das der/die Dolmetscher:in sich halten muss.
Wir sehen anhand der oben genannten Beispiele, dass Dolmetschen und Übersetzen oft miteinander Hand in Hand gehen. Das mag für Außenstehende keine große Überraschung sein, ist das Kernelement der Tätigkeit doch stets der Transfer von Inhalten von einer Sprache in eine andere. Expert:innen wissen allerdings, dass je nach Form ganz spezifische Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich sind. So werden die beiden Berufe beispielsweise in ganz unterschiedlichen Studienfächern erlernt, klassischerweise im M.A. Fachübersetzen bzw. M.A. Konferenzdolmetschen. Allerdings schlagen einige Hochschulen bereits die Brücke zwischen den Tätigkeiten, um sich an das aktuelle Marktgeschehen anzupassen, wie der M.A. Studiengang der TH Köln, wo ein besonderes Sprachprofil die Möglichkeit bietet, das Konferenzdolmetschen mit dem Fachübersetzen zu kombinieren.
Entscheidend dabei ist, sich bewusst zu sein, welche Tätigkeit welche Fähigkeiten erfordert und diese gezielt zu trainieren und anzuwenden.
28. Oktober 2024
Über die Autorin
Laura Bischoff ist als freiberufliche Konferenzdolmetscherin in Aachen mit den Sprachen Deutsch (A), Englisch (B), Französisch (C) und Spanisch (C) tätig. Vor ihrer Selbstständigkeit arbeitete sie in der Abteilung für Terminologie in der Generaldirektion Dolmetschen der Europäischen Kommission. Das Studium absolvierte sie in Brüssel und Köln.
Als professioneller Dolmetscher in Aachen unterstütze ich Sie bei der erfolgreichen Planung und Durchführung Ihrer mehrsprachigen Events.
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