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Dolmetschen - Hexenwerk oder Handwerk?

Das ist ja wie Zauberei!

In einem meiner letzten Beiträge berichtete ich davon, wie mein Blog zu seinem Namen „Dolmetschen ist (k)ein Haixenwerk“ kam. Dabei erläuterte ich, was es mit dem vermeintlichen Schreibfehler auf sich hat.


Heute möchte ich die nächste Frage stellen: Ist Dolmetschen nun Hexenwerk oder nicht?


Wenn ich von meinem Beruf erzähle und erkläre, was wir Dolmetscher:innen machen, ernte ich oft Staunen. Gerade wenn es um das Simultandolmetschen geht, zeigen sich viele Menschen beeindruckt von der Fähigkeit, Inhalte in einer Sprache zu hören und im selben Moment in einer anderen Sprache wiederzugeben. Manchen erscheint das wie Zauberei. Gleichzeitig sind wir Dolmetscher:innen Menschen, die hart daran gearbeitet haben, sich diese Fähigkeiten anzueignen, um diesen wunderschönen Beruf ausüben zu können.


Deshalb möchte ich in diesem Artikel das Für und Wider erläutern, warum man Dolmetschen als Hexenwerk betrachten könnte oder nicht.

Sind Dolmetscher:innen Naturtalente?

Manchen Menschen wird das Erlernen von Sprachen regelrecht in die Wiege gelegt. Mühelos eignen sie sich die Aussprache, neues Vokabular und komplexe Grammatik-Regeln an und beherrschen sogar mehrere Fremdsprachen auf hohem Niveau. Einige wachsen auch direkt mehrsprachig auf und beherrschen zwei, drei oder sogar mehr Sprachen als ihre Muttersprache. Man könnte annehmen, dass sie für das Dolmetschen geschaffen wurden und ihnen diese Tätigkeit regelrecht im Blut liegt.


Auch die Tatsache, dass an den deutschen Hochschulen eine Eignungsfeststellungsprüfung erfolgreich absolviert werden muss, ehe man sich zum Masterstudium Konferenzdolmetschen einschreiben kann, scheint diese These zu stützen. Denn das lässt vermuten, dass es auch für das Dolmetschen eine Veranlagung, eine Art Talent geben muss, mit dem man auf die Welt kommt.


Aufnahmeprüfung: Bin ich dafür geeignet, um Dolmetschen zu studieren?

Wie sieht so ein Aufnahmetest aus?


Ich absolvierte meine Eignungsfeststellungsprüfung an der TH Köln noch vor der Corona-Pandemie. Die Kandidat:innen wurden einem dreitägigen Prüfungsmarathon unterzogen. Dabei wurden wir auf Herz und Nieren getestet und nicht nur unsere Fähigkeiten und Kenntnisse auf den Prüfstand gestellt, sondern auch unser Stressmanagement, unser Durchhaltevermögen und unser Ehrgeiz getestet.


Die Prüfungen beinhalteten verschiedene Komponenten. Neben den Sprachfertigkeiten wurde auch geprüft, wie bewandert wir in der Kultur und Geschichte der Länder sind, in denen jene Sprachen gesprochen werden. Zudem wurde unsere Fähigkeit getestet, von einer Sprache in die andere zu wechseln - durch mehrsprachige Konversationen (ein:e Prüfer:in stellt eine Frage in der Fremdsprache, die der Prüfling in der Muttersprache beantworten muss) oder kleine Konsekutivdolmetsch-Aufgaben. Der letzte Prüfungsteil beinhaltete eine Simultandolmetschübung. Dabei berücksichtigen die Prüfer:innen bei der Bewertung selbstverständlich, dass die relevanten Techniken und Kenntnisse erst im Studium gelehrt werden - und dennoch wird darauf geschaut, ob die notwendigen Grundlagen vorhanden sind, auf denen aufgebaut werden kann.


Bei diesen Betrachtungen ist es wichtig, zwischen einem Sprachtalent und einem Dolmetschtalent zu unterscheiden. Mehrere Sprachen zu beherrschen bedeutet nicht zwangsläufig, dass man in der Lage ist, zu dolmetschen. Es gibt einen Spruch, der den Unterschied anschaulich vermittelt: Es reicht nicht, zehn Finger zu haben, damit man Klavier spielen kann. Es reicht nicht, zwei Sprachen zu sprechen, damit man Dolmetschen kann.


Blut, Schweiß und Tränen

Wer Dolmetscher:in werden möchte, muss also auf zwei Ebenen ansetzen. Zum einen der Spracherwerb, der, wie bereits oben angedeutet, manchen leichter fällt als anderen. Eine Fremdsprache zu erlernen, ist ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist und Dolmetscher:innen ein Leben lang begleitet. Denn Sprache entwickelt sich und es ist unsere Aufgabe, mit diesen Entwicklungen Schritt zu halten.


Die zweite Herausforderung ist, sich die benötigten Dolmetschtechniken anzueignen. Oft höre ich von Freund:innen oder Bekannten: „Das könnte ich niemals“, dabei beziehen sie sich nicht immer nur auf das Simultandolmetschen, sondern auch auf die Tatsache, dass man beim Dolmetschen unter enormem Druck steht, innerhalb von Millisekunden Entscheidungen zu treffen und live vor fremden Menschen zu performen. Das erfordert eine Persönlichkeit, die auch Menschen mitbringen müssen, die beispielsweise im Fernsehen, auf großen Bühnen oder in der Politik tätig sind.


Um all das - die Fremsprachen, das Dolmetschen, der öffentliche Auftritt - nicht nur zu können, sondern gut zu können, sind viele Stunden harten Trainings, eiserne Disziplin und Ehrgeiz erforderlich.

Gemäß der 10.000-Stunden-Regel, die der Psychologe Anders Ericsson aufstellte und laut welcher im Übrigen Talent oder Veranlagung keine Rollen spielen, ist es möglich, eine Sache perfekt zu beherrschen, wenn man diese 10.000 Stunden lang trainiert hat.


Studien des Neurowissenschaftlers Hervais-Adelman, der das Gehirn von Dolmetschstudierenden, die im zweiten Studienjahr sind, im Vergleich zu denjenigen, die das Studium erst kürzlich aufgenommen haben, mit bildgebenden Verfahren untersucht hat, zeigen, dass es durch langes Üben zu Veränderungen im Gehirn in den Bereichen, die für die Dolmetschtätigkeit besonders relevant sind, kommt.


Sowohl als auch

Nach all diesen Überlegungen komme ich zu dem Schluss, dass es sich beim Dolmetschen wie mit anderen Tätigkeiten auch verhält: Talent und Training gehen Hand in Hand.


Wenn es mir schwer fällt, eine Sache zu üben und ich wenige Erfolgserlebnisse habe, verliere ich die Motivation und verfolge diese nicht weiter. Ich werde nie wissen, wie gut ich hätte werden können, wenn ich 10.000 Stunden trainiert hätte. Merke ich aber, dass mir eine Aufgabe leicht von der Hand geht, habe ich Spaß daran und investiere mehr Zeit und Energie, um noch besser zu werden.


Mir erscheint es wie Hexenwerk, wenn durch logisches Kombinieren ein schwieriger Kriminalfall gelöst, eine komplizierte Herz-OP erfolgreich durchgeführt oder ein aufwändiges Computerprogramm zum Laufen gebracht wird. Oder noch vieles mehr, für das ich einfach nicht geschaffen bin - anders als das Dolmetschen, wo ich immer wieder aufs Neue spüre, dass ich genau in meinem Element bin.

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21. Oktober 2024

Über die Autorin

Laura Bischoff ist als freiberufliche Konferenzdolmetscherin in Aachen mit den Sprachen Deutsch (A), Englisch (B), Französisch (C) und Spanisch (C) tätig. Vor ihrer Selbstständigkeit arbeitete sie in der Abteilung für Terminologie in der Generaldirektion Dolmetschen der Europäischen Kommission. Das Studium absolvierte sie in Brüssel und Köln.

Dolmetschen ist (k)ein Haixenwerk

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Dolmetschen ist einmalig und unmittelbar Das Spannende am Dolmetschen ist, dass das Produkt für den Moment gedacht ist. In der Sekunde, in der ich die Leistung erbringe, ist sie relevant und wird direkt durch die Zuhörenden verwerten. Sobald der Moment verstrichen ist, ist auch die Verdolmetschung vorbei und verliert ihre Bedeutung. So ist das beim gesprochenen Wort. Was zählt ist das, was darauf folgt. Die Reaktion der Zuhörenden, die Handlungen, die sich daraus ergeben, die Erinnerung an den Augenblick. (Aufnahmen von Online-Meetings, die die Verdolmetschung ebenfalls erfassen, klammere ich hier bewusst aus, denn diese haben nichts mit dem ursprünglichen Verwendungszweck der Verdolmetschung zu tun. Das lässt sich in die gleiche Kategorie wie Voice-Over eine Filmproduktion einordnen.) Was sich aus oben verfassten Überlegung ergibt, ist die Tatsache, dass alles, was mit der Verdolmetschung einhergeht, ebenfalls ausschließlich für den Einsatz in ebenjenem Moment gedacht ist und danach wortwörtlich in die Tonne kann. Dabei nehme ich nun insbesondere Bezug auf die schriftlichen Notizen, die Dolmetscher:innen bei ihrer Arbeit anfertigen. Papierverbrauch beim Konsekutivdolmetschen Wenn ich ans Notieren beim Dolmetschen denke, kommt mir sofort das Konsekutivdolmetschen in den Sinn. Beim Konsekutivdolmetschen ist das übliche vorgehen so: Der/die Redner:in trägt seinen/ihren Redebeitrag vor. Als Dolmetscherin höre ich genau zu und mache mir als Gedankenstütze einige Notizen. Die Notizentechnik, die dafür zum Einsatz kommt, besteht aus einer Mischung aus Text, Abkürzungen und Symbolen, die im Studium erlernt und im Laufe der Dolmetschkarriere auf Grundlage der dazugewonnenen Erfahrung verfeinert wird. Nachdem der/die Redner:in geendet hat, oder - wenn der Beitrag sehr lange geht - nach einer kleinen Unterbrechung, gebe ich das Gesagte in der anderen Sprache wieder. Je nach Länge des Dolmetscheinsatzes verbrauche ich dabei eine Menge Papier. Wer viele Konsekutivaufträge hat, hat demnach einen relativ hohen Papierverbrauch allein für diese Tätigkeit. Ressourcenschonende Alternativen Als ich mich mit meiner Kollegin Caterina Saccani , Expertin im Bereich Nachhaltigkeit, darüber austauschte, berichtete sie mir von Bambook, einer nachhaltige Alternative für klassische Papierblöcke. Dieses wiederverwendbare Notizbuch ist nicht nur für To-Do-Listen, Brainstorming, Gedankenstützen, oder ähnlichem ein praktisches Helferlein für all diejenigen, die noch gerne mit der Handschreiben - mir persönlich hilft das handschriftliche Schreiben beim Sortieren meiner Gedanken und ich komme damit oft besser klar, als etwas ins Handy zu tippen. Sondern es kann auch beim Dolmetschen helfen, die Tätigkeit ein kleines bisschen ressourcenschonender zu gestalten. Notieren beim Simultandolmetschen Ein Notizblock ist mir auch bei jedem Simultandolmetscheinsatz ein treuer Begleiter. Während ich in Echtzeit das Gesagte von einer Sprache in die andere übersetze, schreibe ich Zahlen, Eigennamen oder (bei langen Satzkonstruktionen) Verben auf. Zudem ist es eine große Hilfe, die wichtigsten Fachbegriffe schwarz auf weiß vor mir zu sehen, damit ich sie nicht erst am Tablet nachschlagen muss. Auch in dieser Situation verliert das Geschriebene auf dem Notizblock seine Relevanz, sobald der Einsatz abgeschlossen ist. Neulich testete ich also kurzerhand den Bambook-Block bei einem Simultaneinsatz aus und war fasziniert, wie anders ich im Vergleich zum klassischen Papierblock notiert habe. Kein Gekritzel, das ich sonst unbewusst zum Stressabbau fabriziere, ordentlichere und besser lesbare Schrift. Und ich habe keinen Müll produziert, sondern kann meine Notizen wegwischen und den Block beim nächsten Einsatz direkt wiederverwenden. Eine tolle Sache! Wenn Sie mehr über das mysteriöse Geschreibsel von Dolmetscher:innen erfahren wollen, kommen Sie gerne auf mich zu.
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