Am 6. und 7. Februar 2025 richtete die Europäische Kommission die „Interpreting Europe Conference 2025 “ in Brüssel aus und lud hochrangige Gäste aus der Welt des Dolmetschens ein, und über die Zukunft des Berufs sowie aktuelle Herausforderungen zu sprechen. Zentrum der Gespräche und Diskussionen war KI, denn das Motto der Konferenz lautete „AI x AI - Artificial Intelligence for Augmented Interpretation“ (Künstliche Intelligenz für Erweitertes Dolmetschen).
In meinem LinkedIn-Post zur Interpreting Europe Conference schrieb ich, dass ich nicht bereit bin, das Konferenzdolmetschen zugunsten eines anderen Berufs aufzugeben, auch wenn man mir oft sagt, dass KI den Dolmetschberuf bald vollständig verdrängen soll. Unter abwägung verschiedener Argumente sind sich die meisten Expert:innen einig, dass dies allerdings in unmittelbarer Zukunft nicht zu erwarten ist. Klar ist aber, dass sich der Beruf mit den neuen Technologien verändert – was er ja schon immer getan hat. Die Arbeitsbedingungen der ersten Simultandolmetscher:innen waren noch ganz andere als heute. Und in 10, 20 oder 50 Jahren werden wir wieder neue Bedingungen vorfinden, auf die wir vorbereitet sein müssen, wenn wir den Beruf weiter ausüben möchten.
Juan Carlos Jiménez Marín (Generaldirektor für Logistik und Dolmetschen für Konferenzen, Europäisches Parlament) formulierte es in seiner Rede auf der Konferenz so treffend: „Die junge Generation kann nur überleben, wenn sie die Bereitschaft zeigt, mit KI zu arbeiten.“ Diejenigen, die bereits auf dem Markt tätig sind, werden das in Form von Erfahrungsaustausch, Learning-by-Doing und Fortbildungen tun.
Die Kolleg:innen, die sich noch in der Ausbildung befinden, haben das Privileg, neue Technologien im geschützten Raum der Hochschulen kennenzulernen. Auch Marie Muttilainen (Direktorin für Dolmetschen des Europäischen Gerichtshofs) erklärte, dass Grundkompetenzen der KI in der Ausbildung behandelt werden müssen.
Entsprechend müssen die Ausbildungsinstitute ihre Lehrpläne anpassen.
Die TH Köln hat den ersten Schritt getan, indem sie die Koyphäe
Anja Rütten als Professorin berufen hat, die das Thema
Computer-Assisted Interpreting (CAI) in die Dolmetschlabore und Hörsäle bringt.
Alexandra Panagakou, (Direktorin für Dolmetschen in der Generaldirektion Dolmetschen der Europäischen Kommission) erläuterte, dass auch in Form eines
Rebrandings, z. B. der Umbenennung eines Studiengangs, wie die
Universität Mainz (Germersheim) es getan hat, gezeigt werden sollte, dass KI und neue Tools nun in der Ausbildung fest verankert sind und nicht nur als reine Spielerei betrachtet werden.
Kilian Seeber (Vizedekan an der Universität Genf) ging beim Kaminfeuergespräch auf die Frage ein, an welcher Stelle im Studium KI eingebunden werden sollte. Noch vor der Notizentechnik? Sprich, noch bevor die grundlegenden Kompetenzen des Dolmetschens erlernt werden? Dies birgt die Gefahr einer Abhängigkeit von der Technik – und man ist schlimmstenfalls nicht mehr in der Lage, ohne auszukommen, was bei Ausfällen und Fehlern große Probleme mit sich bringt. Es ist entscheidend, die Grundzüge des Dolmetschens auf höchstem Niveau zu erlernen und beste Qualität auch ohne Technik liefern zu können, denn ein:e schlechte:r Dolmetscher:in kann leicht durch eine KI ersetzt werden. Kilian Seeber plädiert dafür, weiter die Notizentechnik als ersten Grundstein des Dolmetschstudiums beizubehalten. Denn: „Die Notizentechnik ist ein Hauptwerkzeug der Pädagogik.“ Viele praktizierende Dolmetscher:innen sagen zwar, dass sie im Berufsalltag deutlich seltener notieren, aber in der Ausbildung ist das Erlernen der Notizentechnik essenziell, denn dabei lernt man, die Rede zu analysieren und die Intention herauszuarbeiten, zwei der wichtigsten Dolmetschkompetenzen.
Darüber hinaus werden zukünftig in der Dolmetschwelt neue Profile eine große Rolle spielen. Denn: Eine „KI-gestützte Verdolmetschung ist nur so gut wie das zugrunde liegende Sprachenmodell“, so Seeber. Expert:innen und Linguist:innen müssen die
Modelle also pflegen, korrigieren und Feedback geben.
Auch wurde der spannende Gedankengang aufgeworfen, dass sich die Rolle eines/einer Dolmetscher:in, ähnlich wie bei Übersetzer:innen, die sich auf das
Korrekturlesen
von Maschinenübersetzung (MTPE) konzentrieren, dahingehend verändern könnte, dass der Mensch nur noch eingreifend tätig wird, während die KI die Hauptleistung erbringt. Dazu macht Andreas Witt (Leiter der Abteilung Digitale Sprachwissenschaft des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache) während der Podiumsdiskussion den Vorschlag, dass mehrere KI-Systeme die Dolmetschleistung gleichzeitig erbringen und der Mensch nur eingreift, wenn es zu Diskrepanzen zwischen den Systemen kommt. Der Faktor Zeit spielt beim Dolmetschen allerdings eine andere Rolle als beim Übersetzen, sodass nachträgliches Korrigieren hier eine große Herausforderung darstellt. Die Themen Zuverlässigkeit, Vertraulichkeit und Verantwortlichkeit spielen hier mit rein, darauf werde ich aber in einem anderen Post näher eingehen.
Kilian Seeber nannte in diesem Zusammenhang so trefflich das Konzept der Technologischen Bereitschaft:
„Wir können erst kritisch mit dem Tool interagieren, wenn wir verstehen, wie die Maschine arbeitet.“ Aus diesem Grund sollte jede:r von uns sich in Grundzügen damit auseinandersetzen.
Einig waren sich die Redner:innen bei einer Sache: Nicht diejenigen, die nach Darwin die schnellsten oder die stärksten sind, überleben, sondern, wer sich am besten anpassen kann. Und Anpassungsfähigkeit ist eine grundlegende Eigenschaft von Dolmetscher:innen.
12. Februar 2025
Über die Autorin
Laura Bischoff ist als freiberufliche Konferenzdolmetscherin in Aachen mit den Sprachen Deutsch (A), Englisch (B), Französisch (C) und Spanisch (C) tätig. Vor ihrer Selbstständigkeit arbeitete sie in der Abteilung für Terminologie in der Generaldirektion Dolmetschen der Europäischen Kommission. Das Studium absolvierte sie in Brüssel und Köln.
Als professioneller Dolmetscher in Aachen unterstütze ich Sie bei der erfolgreichen Planung und Durchführung Ihrer mehrsprachigen Events.
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© Laura Bischoff, 2024